Vor einiger Zeit habe ich meinen 2. verlassenen Friedhof besucht. Gerade in den kalten Wintermonaten lohnt sich der Besuch solcher Lost Place, da man dann doch noch etwas mehr sehen kann, was sonst über den Rest des Jahres von Wildpflanzen, Gräsern und Efeu total überwuchert ist und man kaum einen freien Blick auf die vergessenen Gräber hat.
Warm angezogen und mit meiner Kamera ging es also los und ich bahnte mir meinen Weg durch den efeubedeckten verwilderten Bereich. Jede einzelne Erhöhung lies erahnen, dass es sich um eine Grabstätte handelte.
Das erste Grab hatte ich dann auch schnell entdeckt und konnte sogar noch lesen, welchen Namen der Verstorbene trug, auch wenn das Efeu den Grabstein bereits fast komplett zum Erliegen gebracht hat.
Um so tiefer ich ins Dickicht kroch und meine Augen sich langsam an die Gegend gewöhnt hatten, entdeckte ich immer mehr Grabsteine, die nur darauf warteten - gelesen zu werden. Wahrscheinlich war hier schon seit Jahrzehnten keiner mehr.

Die alten Grabsteine aus Sandstein sind bereits stark verwittert und dennoch zeigen sie Meißelkunst, die auch nach so vielen Jahren nichts von ihrer Schönheit verloren hat. So etwas zieht mich einfach magisch an.
Und auch diese ewige Rose ist so detailgetreu gearbeitet, dass ich es mir nicht verkneifen konnte, sie zu berühren und einmal über ihre Blätter zu streichen. Klingt für den ein oder anderen wahrscheinlich komisch, aber es musste einfach sein.
Auch einen komplett gemeißelten Grabstein konnte ich entdecken, der sehr hübsch gemacht ist und vielleicht sogar heute noch als Motiv sehr angesagt wäre. Die Sonne setzte ihn sehr gut Szene, leider war der Name des Verstorbenen nicht mehr zu entziffern.
Dieser Anblick erstaunte mich, denn es war nur noch die massiv gravierte zum Teil zerbrochene Glasplatte vorhanden, von dem dazugehörigen Stein fehlte jede Spur. Keine Ahnung, ob hier Diebe am Werk waren. Den Gedanken möchte ich auch nicht weiter verfolgen, da es ein absolutes NoGo ist in meinen Augen.

Ein Grabstein gefiel mir Besonders, er ist einfach nur wunderschön gestaltet, er strahlt etwas von Anmut und dennoch Verletzlichkeit aus. Ich konnte mich daran nicht wirklich satt sehen, wahrscheinlich weil er dennoch sehr modern und zeitlos wirkt.
Diese bereits zerbrochene Übersturz beherbergte bestimmt mal eine Engelsfigur oder auch eine Kerze, leider ist davon nicht mehr viel übrig. In wenigen Jahren wird es wahrscheinlich gar nicht mehr zu sehen sein.
Und so verblassen auch mit jedem weiteren Jahr, die Namen der Verstorbenen, die hier ihre letzte Ruhe gefunden haben. An gut 80 Prozent der noch zu sehenden Grabsteine, sind die Namen kaum noch zu entziffern, es wirkt schon fast wie anonyme Grabmäler.
Dieses Bild zur Außenmauer hin, zeigt eindrucksvoll, dass es wohl nicht mehr lange dauern wird, bis alles von Efeu verschlungen wurde. Diese Schlingpflanze hat dermaßen viel Kraft, dass sie es sogar schafft Mauern einzureißen, da sind Grabsteine/Grabumrandungen nur Spielzeug dagegen.
Auf dem Rückweg entdeckte ich dann doch noch einen Stein, der irgendwie aufgrund seines Zustandes völlig fehl am Platz wirkte. Er war für die damalige Zeit sehr modern, die Inschrift kräftig. Als ich näher trat um ihn zu betrachten und zu lesen, überkam mich zuerst ein Gefühl von Traurigkeit. Denn die beigesetzte Frau wurde gerade mal zarte 18 Jahre alt. Vielleicht berührte es mich auch so sehr, weil ihr Todestag, der 17.01. - der Tag der Geburt meiner Kinder ist und sie gerade 18 sind. Am Ende freute es mich aber, dass gerade dieser eine einzige Stein Wind, Wetter und der Zeit trotzt. Sogar das Efeu hat sich hier noch sehr zurück gehalten, als hätte sogar die Natur Respekt vor der Toten...
Am Ende war ich drei Stunden dort, ganz allein mit all den vergessenen Toten und der Stille - und hatte über 100 Fotos gemacht. Ich verließ den Ort mit dem nötigen Respekt und mir wurde bewusst, dass ich wahrscheinlich seit Ewigkeiten der einzige Besucher dort war und es auch für die Zukunft bleiben werde.